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Physikalisches Institut

Wilhelm und Else Heraeus-Seniorprofessur Theoretische Physik - Theorie weicher Materie & Nichtlineare Dynamik - Prof. Dr. Walter Zimmermann

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Forschung

Strukturbildung

Strukturbildung und nichtlineare Dynamik ist ein noch junges Forschungsgebiet und es erfreut sich in jüngerer Zeit aufgrund vieler interessanter Erkenntnisse hoher Aufmerksamkeit. Strukturbildungsphänomene kommen in vielen physikalischen, chemischen und biologischen Systemen vor und werden daran experimentell und theoretisch untersucht. Obwohl die Mechanismen in den einzelnen Systemen sehr verschieden sind, führen sie doch zu ähnlichen räumlichen und zeitlichen Strukturen. Aufgrund dieser strukturellen Ähnlichkeiten spricht man auch von universellen Phänomenen.

Zur Untersuchung dieser Phänomene, wie z.B. unterschiedliche Bifurkationstypen, eignen sich physikalische Systeme aus zwei Gründen besonders gut. Die Experimente mit der größten Präzision sind meistens an physikalischen Systemen möglich und die Bewegungsgleichungen sind insbesondere für Flüssigkeiten sehr gut etabliert, so dass auch Vergleiche zwischen Experiment und Theorie an physikalischen Systemen oft am präzisesten möglich sind.

Mit zunehmender Messgenauigkeit werden jedoch auch die Anforderungen bzgl. der Elemination kleiner Abweichungen vom idealen Experiment, z.B. durch kleine Inhomogenitäten an den Wänden bei Flüssigkeitsbehältern, immer größer. Bifurkationspunkte wie am Konvektionseinsatz reagieren am empfindlichsten auf kleine Störungen. Andererseits sind Laborexperimente oft auch Nachbildungen von Naturvorgängen, die vielen Störungen ausgesetzt sind. In diesem Fall stellt sich die Frage, wie robust sind die Ergebnisse aus Laborexperimenten gegenüber Störungen bzw. in wie weit sind die Ergebnisse von fast idealen Laborexperimenten auf natürlich vorkommende Phänomene übertragbar? Dies sind bereits zwei wichtige Gründe, sich mit Inhomogenitätseffekten bei nichtlinearen Systemen zu beschäftigen. Darüber hinaus ist die theoretische Beschäftigung mit Systemen in heterogener Umgebung ein noch weitgehend unerforschtes Gebiet mit vielen Möglichkeiten der Methodenerweiterung.

Biophysik

Im Bereich der Biologischen Physik beschäftigen wir uns mit Strukturbildungsvorgängen, wie sie bei Experimenten in vitro mit Bestandteilen des Zytoskelettes der Zelle beobachtet werden und mit dynamischen Vorgängen von Ionenkanälen in der Zellwand vorkommen.

Semiflexible und stäbchenförmige Polymere, wie Actin und Mikrotubuli, sind zwei wichtige Bausteine in der Biologie. Muskeln und auch das Zellskelett bestehen zu einem großen Teil aus Actin. Die zylindrischen Mikrotubuli spielen bei der Zellteilung oder auch in Nervenbahnen eine wichtige Rolle. Beide Sorten von  Filamenten werden in der Zelle polymerisiert und bei Bedarf zerfallen sie wieder biochemisch gesteuert.

Die Länge eines einzelnen, mit einem Ende an einem Centrosom haftenden Mikrotubuli kann stochastisches Verhalten zeigen. Liegt eine Lösung mit hoher Tubulin-Dimer-Konzentration vor, so kann die Polymerisation von Mikrotubuli auch oszillatorisches Verhalten, wobei die biochemischen Details recht komplex werden können. Wir haben Modell ausgearbeitet und auch analytisch Trends für Bedingungen angegeben, unter denen die Polymerisation oszillatorisch abläuft (X).

Actin wie auch Mikrotubuli dienen häufig wie Eisenbahnenschienen für einen Zug als Fortbewegungsbahn für Motorproteine. Das Zusammenspiel von Filamenten und Motorproteinen führt bei in vitro Experimenten zu einer Reihe von faszinierenden Strukturbildungsphänomenen, wie z. B. zur Bildung von ''Asters''. Bisher sind nur einige Selbstorganisationsphänomene in der Zellbiologie beobachtet worden. Zu welcher Vielfalt von Mustern zellbiologische Komponenten fähig sind und welche biologische Bedeutung sie haben, und mit welcher biologischen Bedeutung zellbiologische Komponenten fähig sind ist eine noch offene und spannende physikalische Frage, weil diese Prozesse nicht nur durch die Genetik gesteuert werden.

Bei einem weiteren Problemkreis werden Strukturbildungsphänomene bei Ionenkanälen in einer Zellmembran untersucht. Da die am Strukturbildungsprozess beteiligten Ionenkanäle während der Selbstorganisationsdynamik konstant bleibt, bringen bei diesen Phänomenen die Erhaltungssätze generische Zusätze mit interessanten Konsequenzen mit sich.

Um diese Vorgänge theoretisch zu beschreiben, wurden in unserer Gruppe Methoden der statistischen Physik des Nichtgleichgewichts erweitert und dieselben mit Methoden der Nichtlinearen Dynamik und Strukturbildung analytisch und numerisch untersucht.

Polymerphysik und Mikrofluidik

Auch in der Polymerphysik beobachtet man viele faszinierende Phänomene fern vom thermischen Gleichgewicht. Zu den spektakulärsten Beispielen zählt die turbulente Reibungsverminderung. Dabei geht es um folgenden überraschenden Sachverhalt: Ist die Strömungsgeschwindigkeit einer Flüssigkeit durch ein Rohr klein, so nimmt die Strömungsgeschwindigkeit bei gleicher Druckdifferenz pro Längeneinheit mit zunehmender Polymerkonzentration ab.

Ist jedoch die Strömung durch ein Rohr bereits turbulent, also verwirbelt, so nimmt die mittlere Strömungsgeschwindigkeit in Richtung der Rohrachse mit zunehmender Polymerkonzentraion im Bereich 1-50 ppm bereits stark zu. Dieses Phänomen wird turbulente Reibungsverminderung (turbulent drag reduction) genannt.

Die Ursache dieses Phänomens liegt an folgendem Wechselspiel. Ein Polymerknäul wird durch einen lokalen Schergradienten deformiert und die Polymerdeformation wirkt auf das Strömungsfeld zurück. Wie dieses Wechselspiel allerdings im Einzelnen abläuft, ist noch nicht richtig klar. Wichtig ist aber ganz offensichtlich die Wechselwirkung zwischen den einzelnen Polymeren bzw. zwischen verschiedenen Abschnitten des Polymers über das Lösungsmittel, also über die sogenannte hydrodynamische Wechselwirkung (HI).

Motiviert durch dieses Beispiel, wie auch durch eine Reihe von Problemen aus der Mikrofluidik, zählt die Untersuchung von Effekten der HI in unterschiedlichen Situationen der Polymerphysik mit zu den Hauptaktivitäten der Arbeitsgruppe Gruppe.

Ausgewählte Forschungsprojekte:

  • Rheologie und Dynamik aktiver Biopolymernetzwerke
  • Thermodiffusion in Polymermischungen: Strukturbildung und Längenskalenselektion
  • Ordnungs-Unordnungs-Übergang in Blockcopolymeren (ODT)
  • Konvektion in thermisch sensitiven kolloidalen Suspensionen
  • Selbstordnende rotierende Kolloide als chaotische Mischer
  • Mobilität und Dynamik in lokal geheizter Lutedin/Wasser-Mischung
  • Clusterdynamik in Ratschenpotentialen
  • Rippelbildung bei Aktingel Wachstum auf heterogenen Kolloidoberflächen
  • Konvektion in der Erde (u.a. in Magmakammern) und anderen Planeten

Forschungsförderung:


Projekte

Hydrodynamic interactions along and between polymers in simple flow fieldsEinklappen

Projektleiter: Prof. Dr. Walter Zimmermann

Projektstart:
2003 | Projektende: 2007
Projektnummer: DFG Schwerpunktprogramm 1164 (Zi 443/2-1)

Projektbeschreibung:
Eine größere Zahl spektakulärer und faszinierender Strömungsphänomene mit Polymerlösungen ist bereits seit längerer Zeit bekannt, aber die zugrundeliegenden physikalischen Prozesse sind immer noch unzureichend verstanden.
Aufgrund ihrer technologischen Bedeutung und Anwendungsrelevanz wurden die bisherigen Forschungen auf diesem Gebiet zu einem großen Teil von Ingenieuren unternommen und zwar insbesondere im Hinblick auf die Anwendungsaspekte.
Polymere werden in Strömungen deformiert und diese Deformationen auf der Mikrometer und Nanometerskala können erst seit kurzer Zeit sichtbar gemacht werden. Ein zweiter wichtiger Effekt ist die Rückwirkung der Polymerdeformation auf die Strömung, die das Polymer umgibt. Diese Effekte auf das Strömungsfeld konnten experimentell noch nicht beobachtet werden. Aber diese Wechselwirkung ist die Ursache der genannten und spektakulären Strömungsphänomene.
Der Einfluss der Strömung auf die Polymerdeformation wie auch die Rückwirkung auf die Strömung wird durch die sogenannte Hydrodynamische Wechselwirkung bestimmt, welche stark von der aktuellen Konformation eines Polymers bestimmt wird.
Diese Wechselwirkung ist nichtlinear und nichtlokal. Es beeinflusst daher stark die Brownsche Bewegung von Einzelpolymeren und bestimmt die Wechselwirkung elektrisch neutraler und sich nicht überlappender Polymere. Die Relevanz der hydrodynamischen Wechselwirkung ist a priori nicht bekannt und wird in mesoskopischen Modellen oft vernachlässigt. Es ist das Ziel dieses Schwerpunktprojektes durch eine Anzahl von Modellrechnungen für flexible Polymere (DNS), semiflexible Polymere (Aktin) und Polymernetzwerken den Effekt der hydrodynamischen Wechselwirkung zu untersuchen. Wie unterscheidet sich die zeitabhängige Konformation eines am Ende festgehaltenen Polymers in unterschiedlichen Strömungen z.B. in stationärer oder sich zeitlich periodisch oder sich stochastisch ändernder Scherströmung oder Poiseuilleströmung? Welche Rolle spielen beispielsweise die thermischen Fluktuationen des Lösungsmittels etc.

Thermodiffusion in Polymermischungen: Strukturbildung und LängenskalenselektionEinklappen

Projektleiter: Prof. Dr. Walter Zimmermann

Projektstart: 2004 | Projektende: 2007
Projektnummer: SFB 481/ Teilprojekt A8

Projektbeschreibung:
Es handelt sich um ein kollaboratives Projekt mit der Experimentalphysik (Prof. W. Köhler) und der physikalischen Chemie (Prof. Böker).
Im theoretischen Teil wird die Phasenseparationsdynamik von Polymermischungen und Blockcopolymeren im Beisein von aufgeprägten räumlichen und eventuell auch raumzeitlichen Störungen untersucht. Ausgangspunkt ist ein Typ der Cahn-Hillard Gleichungen. Ziel ist ein quantitativer Vergleich mit Experimenten.

Rheologie und Dynamik aktiver BiopolymernetzwerkeEinklappen

Projektleiter: Prof. Dr. Walter Zimmermann

Projektstart: 2005 | Projektende: 2008
Projektnummer: DFG Forschergruppe 608 Teilprojekt 7

Projektbeschreibung:
Es handelt sich um ein kollaboratives Projekt mit der Experimentalphysik (Prof. Ott). Ziel im theoretischen Teil ist ein quantitativer Vergleich mit Experimenten.
In diesem Teilprojekt ist die Untersuchung von aktiven Gelen, d.h. aktiven Biopolymer-Netzwerken aus semiflexiblen F-Aktin-Filamenten, geplant. Hierfür sollen die F-Aktine zum Teil mit Proteinen (wie z.B. Fimbrin) fest vernetzt werden. Aktive Vernetzungspunkte werden durch oligomeres Myosin eingeführt, welche die nichtlineare Dynamik in diesem System induzieren. Derartige Netzwerke sind eine partielle Nachbildung des Zytoskeletts (Biomimetik) und eine aktive Version klassischer Elastomere. Deren mechanische und dynamische Eigenschaften sollen mit rheologischen Messungen, mit Lichtstreuung und mit Mikroskopie untersucht werden. Gleichzeitig soll die Entwicklung und Analyse entsprechender theoretische Modelle vorangetrieben werden, weil wir uns durch das enge Wechselspiel von Experiment und Theorie einen zügigen Einblick in die physikalischen Eigenschaften dieser Stoffklasse erhoffen.


Verantwortlich für die Redaktion: Prof. Dr. Walter Zimmermann

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